Aktionsplan Inklusion „Alle Menschen willkommen heißen - Diakonisch aktive Gemeinden stärken"

Über das Sozialunternehmen NEUE ARBEIT gGmbH sensibilisieren sich Christen und Gemeinden im Raum Stuttgart für ihr diakonisches Profil

Um welches Projekt handelt es sich, und wann hat das Projekt begonnen?

Es handelt sich um das Projekt „Alle Menschen willkommen heißen - Diakonisch aktive Gemeinden stärken“. Das Projekt begann am 1.1.2018 und endet am 31.12.2020

 

Wie war ihre Projektidee und welche Überlegungen haben Sie dabei geleitet?

Die Ungleichheit, die Spaltung in der Gesellschaft zwischen Arm und Reich nimmt zu. Diese Spaltung ist auch in den Kirchengemeinden sichtbar. Ausgegrenzte und arme Menschen finden immer weniger den Weg in die Kirchengemeinden, die Gräben zwischen den Schichten und Milieus werden tiefer. Die SINUS-Studie „Evangelisch in Baden und Württemberg“ formuliert als Konsequenz, dass Kirchengemeinden die dicken Mauern ihrer angestammten Lebenswelt verlassen müssen und sich für die, die nicht dazu gehören, interessieren müssen. Durch die Zusammenarbeit von Kirchengemeinden und dem Sozialunternehmen Neue Arbeit als diakonische Einrichtung mit ihren vielfältigen Standorten in den Sozialräumen und Zugängen zu prekär lebenden Menschen, sollen über Projekte separierte Lebensräume nachhaltig überwunden und inklusiv gestaltet werden.

Zudem ist die Neue Arbeit Teil des auf Verbandsebene des EFAS stattfindenden Projektes aus der Programmlinie des Bundesinnenministeriums „Zusammenhalt durch Teilhabe“. Handlungskompetenzen gegen ausgrenzendes und diskriminierendes Verhalten und zur Stärkung demokratischer Teilhabe werden hier aufgebaut.

Dazu werden Veranstaltungs-, Begegnungs- und Workshopformate entwickelt und erprobt und sollen über Nachahmer/-innen in die Fläche getragen werden. Wir wollen in diesem Projekt mit vielen Ideen experimentieren und Brücken zwischen  Projekten diakonischer Träger und Kirchengemeinden und zwischen armen Menschen und Kirchengemeinden bauen.
Am Ende soll ein Kompendium mit Ideen, Projekterfahrungen entstehen, das zur Nachahmung inspirieren soll. Projektinhalte und -ergebnisse können so für Kirchengemeinden übertragbar und nutzbar gemacht macht werden.

 

Wie wurde die Projektidee umgesetzt (Maßnahmen, Beteiligte, Zeithorizont,Räumlichkeiten, Finanzen..)?

Im folgenden beschreiben wir die bereits durchgführten Projekte: Das Vorhaben sieht grundsätzlich zwei Handlungsstränge vor:

A) Aktionen und Veranstaltungen, die Begegnungen mit armen oder von Armut bedrohten und ausgegrenzten Menschen und Menschen in kirchengemeindlichen Strukturen ermöglichen.

B) Qualifizierende Angebote für kirchengemeindliche Strukturen, die neben den Begegnungen eine Wissenserweiterung ermöglichen

Im ersten und zweiten Jahr fand schwerpunktmäßig die Entwicklung und Erprobung neuer Veranstaltungs-, Begegnungs- und Workshopformate statt. Im dritten Jahr ist geplant erfolgreiche Formate weiter in die Fläche zu bringen und dies mit qualifizierenden Angeboten für die Kirchengemeinden zu verknüpfen.

 

3.1. Projektbeirat

Zu Beginn wurde ein Beirat geründet, der das Projekt begleiten soll.Teilnehmende der ersten Beiratssitzung waren: Matthias Kneisler, Referent im Diakonischen Werk Württemberg, Pfarrerin Gabriele Ehrmann, Evangelisches Diakoniepfarramt Stuttgart, Betroffene (Langzeitarbeitslose, Arme, Menschen mit einer Behinderung), Ines Nößler, Evangelischer Fachverband für Arbeit, Pfarrer U. Dreesmann, Lutherkirche Bad Cannstatt, Birgit Wieland, Kreisdiakonie Stuttgart, Herr Frank vom AK Diakonie, Kirchengemeinde Neusteinhofen. Die erste Beiratssitzung fand statt am 30.5.2018. In dieser Beiratssitzung wurden die möglichen Ideen kreiert, diskutiert und ein Projektfahrplan für die Projektlaufzeit entworfen. Auf diesem Bild sind die Projektideen dargestellt, die der Beirat unterstützt. Es sollen Brücken zwischen Kirche und Menschen am Rand der Gesellschaft gebaut werden. Dabei soll man sich der bestehenden Schranken und Barrieren bewußt sein.

 

 

3.2 Sozialpolitisches Nachtgebet in der Otilienkapelle in Plochingen am 30.6.2018 und gemeinsamer Gottesdienst zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit in der Stadtkirche Plochingen am 1.7.2018

Im Rahmen eines Solidaritätsmarsches von Stuttgart nach Bad Boll (dort fand die alljährliche Erwerbslosentagung statt), ist eine kleine Gruppe Langzeitarbeitsloser, von Stuttgart nach Bad Boll marschiert, um auf die prekären Lebensbedingungen Langzeitarbeitsloser aufmerksam zu machen. Begleitet wurde die Gruppe u.a. von Dakoniepfarrerin Gabriel Ehrmann. Auf diesem Marsch wurden Orte angesteuert, an denen arme Menschen Solidarität erfahren. An den Orten wurden Ansprachen und Lesungen gehalten. Am Samstagabend fand anlässlich des Marsches ein sozialpolitisches Nachgebet, mit Fürbitten, Lebensberichten, Gebeten, Gedanken zu Solidarität und Konkurrenz, einer Predigt zu Lukas 10, 25 – 37in der Ottilienkapelle in Plochingen statt, das von Langzeitarbeitslosen und der Stuttgarter Diakoniepfarrerin Gabriele Ehrmann gestaltet wurde. Teilgenommen haben auch Mitglieder der Kirchengemeinde.

Die Gruppe übernachtete im Gemeindehaus und hatte am Sonntagmorgen, im Gottesdienst in der Stadtkirche, Gelegenheit über die Lebenssituation als Hartz IV-Bezieher zu berichten. Es wurden Fürbitten für Menschen am Rande der Gesellschaft und ihren Familien vorgetragen. Pfarrer Dr. Hahn hat eine bewegende Predigt zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit gehalten, die sehr berührt und bewegt hat. Alle Texte, Fürbitten, Gebete, Predigt, Liedauswahl werden im geplanten Kompendium zusammengestellt.

 

 

 

3.3 Inklusionstagung Stift Bad Urach 7.-8. Juni 2018

Im Rahmen der Tagung wurde im Rahmen unseres Projektes eine Arbeitsgruppe angeboten: „Teilhabe durch Arbeit ermöglichen - Arbeit ist das A und O für die soziale Integration. Kirchengemeinden können benachteiligte Menschen dabei unterstützen, Arbeit zu finden.

Im Rahmen eines Workshops wurde darüber nachgedacht was Kirchengemeinden und was Menschen am Rand der Gesellschaft tun können um zueinander zu finden.

Dabei wurde zu den folgenden Fragen gearbeitet:

- Was wollen wir tun um zur Kirchengemeinde zu finden?

- Was wünschen wir uns von Kirchengemeinden?

Weiter wurde im Rahmen eines Weltcafés die Gedanken zu den Schranken die sich zwischen Kirchengemeinden und Prekären befinden und den Brücken, die man bauen kann beschrieben.

 

3.4 Marktplatz Inklusion 4.10. 2018 Hospitalhof Stuttgart

Alle Projekt und Initiativen der Evangelischen Landeskirche und ihrer Diakonie präsentierten ihre inklusiven Projekte im Hospitalhof Stuttgart.

700 Menschen kamen im Stuttgarter Hospitalhof zu einer großen,barrierefreien Messe zusammen. Die Neue Arbeit hat neben mehr als 35 Kirchengemeinden und Einrichtungen auf der bunten Inklusionsmesse das Projekt „Brücken bauen zwischen Kirchengemeinden und Menschen am Rand der Gesellschaft“ vorgestellt.


3.5 Mit weniger mehr leben –Second-Hand-Gottesdienst

Ein gemeinsamer Gottesdienst der Lutherkirche Stuttgart mit dem Second-Hand-Sozialkaufhaus der Neuen Arbeit in Cannstatt.

Einen ungewöhnlichen Gottesdienst gab es am 4. November 2018 in der Lutherkirche Bad Cannstatt. Er wurde von Mitarbeitenden des Sozial-Kaufhauses der Neuen Arbeit mitgestaltet. Pfarrer Dr. Ulrich Dreesmann predigte über die Kunst Ballast abzuwerfen. Die Gottesdienstbesucher/-

innen konnten Ballast abwerfen und die Dinge, die sie nicht mehr brauchen, als Spende für das Second-Hand-Sozialkaufhaus in Cannstatt mit zur Kirche bringen. Nach dem Gottesdienst kam die Kirchengemeinde mit den Mitarbeitenden des Kaufhauses in der Sakristei bei Kirchenkaffee und „Arbeitsplätzchen“ zusammen. Die Gemeinde war dankbar Hintergrundinformationen

über das Kaufhaus zu bekommen. Die Gottesdienstbesucher erfuhren aus erster Hand von den Mitarbeitenden, wie schwer es für langzeitarbeitslose und behinderte Menschen ist, einen guten und festen Arbeitsplatz zu finden, und wie wichtig das Kaufhaus als Arbeitgeber für sie ist. „Es war sehr interessant, sie haben unseren Gottesdienst belebt“, so eine Gottesdienstbesucherin. Für Pfarrer Dreesmann war es der erste gemeinsame Gottesdienst mit dem Kaufhaus. „Ich finde es wichtig, dass Diakonie und Kirchengemeinde im Austausch sind und gemeinsam etwas machen. Wir bereichern uns gegenseitig“, so Dreesmann nach dem Gottesdienst. Er will im Kollegenkreis von seinen positiven Erfahrungen berichten. Vielleicht werde die Idee von anderen aufgegriffen, er

würde es sich wünschen. Im Gottesdienst wurde spürbar, dass Diakonie und Kirchengemeinde zusammengehören und dass es für die Mitarbeitenden der Diakonie wichtig ist, sich immer wieder an die spirituellen und christlichen Wurzeln der diakonischen Arbeit anzubinden. Eine gute Möglichkeit sind gemeinsame Gottesdienste im Sozialraum.


3.7 Dinner Sozial - Tafeln in der Tafel

Schon immer haben Mahlzeiten die Menschen überall auf der Welt zusammengeführt, so auch Mitte Mai 2019 im Tafelladen in Stuttgart Mitte. Knapp 25 Personen haben sich zum gemeinsamen Kochen und Tafeln in der Tafel zusammengefunden. „Toll war ́s, das machen wir auf jeden Fall noch einmal“, so Diakoniepfarrerin Gabriele Ehrmann. Eingeladen waren Mitarbeitende und Kunden aus dem Tafel-laden, Mitarbeitende aus der Diakonie und Mitglieder aus den umliegenden Kirchengemeinden. Es sollten Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten zusammengebracht werden, die sich sonst nur selten treffen. Rolf Kaltenberger, gelernter Koch und sonst verantwortlich für die Sozialkaufhäuser der Neuen Arbeit, führte Regie in der kleinen Tafel-Küche. Dort wo täglich tonnenweise Gemüse sortiert werden, wurde das Essen vorbereitet. Nicht ganz leicht war es, das Menü festzulegen, denn es sollte mit dem, was an diesem Tag an Lebensmitteln in der Tafel zur Verfügung stand, ein leckeres Menü gezaubert werden. Man könnte es auch als Kochimprovisation auf höchstem Niveau bezeichnen, was die kochkreativen Teilnehmenden dann in gut zwei Stunden mit schnippeln, brutzeln, braten und kochen auf die Tafel brachten. Frischer Salat mit exquisitem Pilzragout, delikate Rinderhacksteaks, gebratenes Hühnchenfleisch, Gurkensalat vom Feinsten, Vegetarisch-Iranisches mit frittierter Pfefferminze von Tafelladenkoch Madjid, „keine-Ahnung-was-da-drin-war-aber-es-schmeckte-höllisch-gut“, ein Obstsalat mit allem, was die Tafel an diesem Tag an Obst am Start hatte und zart geschmurgeltes Paprika-Kartoffeln-Ofengemüse. „So was hatten wir noch nie. Es war ganz leicht und entspannt, alle waren gut dabei und haben sich wohlgefühlt“, so Ingrid Poppe, Projektleiterin der Schwäbischen Tafel. Was dann folgte war keine Schlacht am kalten, sondern ein Fest am warmen Buffet im Verkaufsraum der Tafel, mit Tischreden und guten Gesprächen. Die Denkfabrik der Neuen Arbeit hatte schon zwei Dinner Sozial organisert, wollte die Idee weiterführen und arme Menschen mit Mitgliedern aus Kirchengemeinden zusammenzubringen. Diakoniepfarrerin Gabriele Ehrmann fand Gefallen an der Idee, brachte als neue Vorständin der Schwäbischen Tafel die Lokalität ins Spiel und sprach Interessierte aus Kirchengemeinden an. Ingrid Poppe von der Schwäbischen Tafel hatte schon lange den Wunsch, die Mitarbeitenden der Tafel in Punkto „Gesunde Ernährung“ nach vorn zu bringen: Wider die Spaltung der Gesellschaft saßen Menschen miteinander am Tisch, deren Wege sich sonst eher nicht kreuzen. Es wird hoffentlich Wiederholungen dieser außergewöhnlichen Tafelrunde in der Tafel geben, mit neuen Gästen, mit neuen überraschenden Begegnungen und einem echten Überraschungsmenü, dass erst unmittelbar vor dem Kochen aus dem kreiert wird, was die Tafel an diesem Tag hergibt.Menschen aus allen Schichten kamen in der Tafel zusammen


3.8 Begegnung prekär lebender Menschen mit dem Kirchegemeinderat Botnang

Luise Janke und Jürgen Kaiser sind tätig bei der Denkfabrik-Forum für Menschen am Rande im Sozialunternehmen Neue Arbeit. Beide haben langjährige Erfahrung mit Hartz IV-Bezug und Langzeitarbeitslosigkeit. Sie sind für einen Tag zur Klausur der Evangelischen Kirchengemeinde Botnang eingeladen worden. Sie sollten als Betroffene die Kirchengemeinde, beraten. Diese will sich für prekär lebende Menschen öffnen, wusste aber nicht so recht wie sie auf prekär lebendende sozial benachteiligte Menschen zugehen sollen.

Leitfragen waren:

Wo grenzen wir als Kirchengemeinde arme Menschen aus, weil viele Angebote eben doch kosten, und sei es nur durch das in Württemberg so verbreitete „Körbchen“, das irgendwo steht und wo es die mehr oder weniger ausgesprochene Erwartung gibt, dass „man“ da was reinwirft… Wie gehen wir als Gemeinde auf arme Menschen zu, die es natürlich auch in Botnang gibt, die aber in der Gemeinde wenig auftauchen?

Wesentliche Inhalte und Erkenntnisse:

Armut versteckt sich. Man sieht sie zwar auf der Straße, aber man sieht nicht ihr Ausmaß, weil Arme sich Ihrer Armut schämen und oft unsichtbar machen. Als Armer fällt man auf und fühlt sich minderwertig. Auf die Frage, was eine Kirchengemeinde tun kann, war die Antwort, dass zunächst Anerkennung wichtig ist. Kirchengemeinden können sich auf der gesellschaftlichen Ebene engagieren.


Folgende mögliche Projekte und Maßnahmen wurden gemeinsam skizziert:

Gemeindeentwicklung als inklusive Gemeinde mit dem Sozialunternehmen Neue Arbeit und dem Diakonischen Werk Württemberg.

Treffpunkt für Gespräche und Begegnungen, Möglichkeit, die Bedarfe im Stadtteil zu klären, Diakonie-Nachmittag: Infoveranstaltung

Veranstaltungen, Stellvertretenden Bezirksvorsteher in Botnang ansprechen, Themenabend „Armut in Botnang“ mit Statistiken, stadtteilbezogene Auswertung des Stuttgarter Sozialberichtes. Gottesdienst / Abendgebet zum Thema Armut, Sozialkreis für unbürokratische Hilfen

Kulturveranstaltungen und Erwachsenenbildung gratis / kostengünstiger anbieten für Arme

kostenloser Eintritt für Bonuscard-Inhaber in die Solitude-Soirée

Persönliche Hilfen, Fonds ‚Diakonie gegen Armut, Teilhabegutscheine

 

3.9. Unerhört–Forum und Gottesdienst im Sozialkaufhaus 14.8.2018

Zum Zuhören gekommen. Diakoniepräsident Ulrich Lilie besucht das Kaufhaus in Bad Cannstatt – Langzeitarbeitslose und Menschen mit Behinderungen erzählen von ihren Erfahrungen. Im Rahmen einer Rundreise besuchte Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, das Kaufhaus in Bad Cannstatt. Dort fand ein Gottesdienst und ein „UNERHÖRT!“-Forum statt, bei dem Langzeitarbeitslose und schwerbehinderte Menschen von ihren Erfahrungen erzählten und dem Diakoniepräsidenten und dem Diakoniepfarrer Klaus Käpplinger ins Gespräch kamen. Zum Schluss legt Diakoniepräsident Ulrich Lilie seine Position dar. Es sei gut zuzuhören, damit fange die Diakonie an. Zudem sei es in einer Gesellschaft, die immer vielfältiger werde, wichtig „dass man erzählt, wie man ist.“ Was die Gemeinden betrifft, beschrieb Lilie die Schwierigkeiten der Gemeinden sich nach außen zu öffnen. „Der Protestantismus war eigentlich immer eine Bürgerreligion, eine Mittelstandsreligion. Das ist bis heute in der Tiefenwirkung spürbar“, so Lilie. „Eine diakonische Kirche ist eine Kirche, die die Relevanz des Evangeliums vor der Kirchentüre lebt“, zitierte er den ehemaligen Bischof Wolfgang Huber. Feiern und Handeln, Gottesdienst und Diakonie, gehörten untrennbar zusammen. „Das ist für die Relevanz und die Glaubwürdigkeit des Evangeliums unaufgebbar.“ Letztlich sei das eine Frage der Überlebensfähigkeit der Kirche. Die letzten Gedanken griff Lilie auch in seiner Predigt im anschließenden Gottesdienst im Kaufhaus auf, der er einen Text des Propheten Amos (Kapitel 5, 21-24) zugrunde legte. „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“, heißt es darin.

 

3.10. Sozialpolitisches Morgengebet / Gottesdienst Vesperkirche Stuttgart

Sozialpolitisches Morgengebet in der Vesperkirche am 3. Februar 2019. Es ist nicht leicht, sich das anzuhören, und trotzdem ist es mucksmäuschenstill am Sonntagmorgen in der Vesperkirche beim sozialpolitischen Morgengebet. Mitarbeitende der Neuen Arbeit berichten von Menschen in der Stadt, die zu alt, zu schwach, zu krank, alleinerziehend, zu gering qualifiziert oder einfach zu lange arbeitslos sind um auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Chance zu bekommen. Es geht um den Wert von Arbeit, und darum zu verstehen, dass jeder Mensch seinen Arbeitsplatz verlieren kann. Es wird auch von Menschen berichtet, die es trotz aller Widrigkeiten und schlechter Startchancen doch geschafft haben wieder Fuß zu fassen, weil sie ein besonderes aber notwendiges Maß an Unterstützung bekommen haben.

Gabriele Ehrmann, Diakoniepfarrerin und Leiterin der Vesperkirche, spricht in ihrer Predigt über die „schwachen Glieder der Stadtgesellschaft“. Darüber, wie sich in den sieben Wochen Vesperkirche nicht nur das Leben derer verändert, die die Hilfe dringend benötigen, sondern auch derer, die helfen. Es geht ein Segen von ihnen aus. Von Beiden. Das kann in der gegenseitigen Begegnung erfahren werden.

„Gemeinschaft in der Tiefe“, so nannte das Jürgen Moltmann, evangelischer Theologe Jahrgang 1926. Es gibt noch andere Begriffe dafür: Solidarität oder Nächstenliebe. Auch die Liebe zu sich selbst, die begriffen hat, dass das Mitfühlen mit dem Anderen immer das Mitfühlen mit sich selbst voraussetzt. Diejenigen, die sich berühren lassen vom Schicksal des Anderen, fühlen eben in der Tiefe die gegenseitige Verbundenheit alles Lebendigen.

Pfarrerin Ehrmann nimmt zur Veranschaulichung die Geschichte des Barmherzigen Samariter aus dem Lukasevangelium. In ihr wird deutlich, wie die Liebe zu Gott, zu sich selbst und zum anderen auf das Engste miteinander verknüpft sind.

 

 

3.11.Second-Hand-Gottesdienst mit Modenschau in der Pauluskirche Stuttgart-Zuffenhausen.

Die Bewahrung der Schöpfung stand im Mittelpunkt dieses ungewöhnlichen Gottesdienstes, der gemeinsam mit der evangelischen Kirchegemeinde Zuffenhausen und dem Sozialunternehmen Neue Arbeit gestaltet wurde. Mit weniger mehr und intensiver leben, weniger Ressourcen verbrauchen, die Dinge des täglichen Bedarfs mehrfach in zweiter und dritter Hand nutzen, das waren die Themen das Gottesdienstes. Außergewöhnlich war eine Modenschau mit gebrauchter Second-Hand-Kleidung, die im Gottesdienst stattfand und einen außergewöhnlichen Akzent setzte. Zu Beginn konnten die Besucher Gebrauchtes an der Kirchentür abgeben. Nach dem Gottesdienst konnten die Gottesdienstbesucher und die Mitarbeitenden der Neuen Arbeit bei einem Stück Pizza miteinander ins Gespräch kommen und Second-Hand-Waren gegen eine Spende erwerben. Das Opfer des Gottesdienstes kommt dem vom Second-Hand-Kaufhaus Cannstatt geförderten Brot für die Welt Projekt, einer Müllsammlerkooperative in Brasilen, zugute. Dieser Themengottesdienst war gut besucht und hat Menschen angezogen, die sonst weniger den Weg in die Kirche finden.



Vorträge im Second-Hand-Sozial-Kaufhaus Cannstatt

Zu den Vorträgen/Lesungen wurden neben der breiten Öffentlichkeit explizit die umliegenden Kirchengemeinden eingeladen

3.11. Reichtum als moralisches Problem

Vortrag und Lesung mit dem Philosophen Christian Neuhäuser, Professor für praktische Philosophie an der Universität Dortmund. Im Second-Hand-Sozial-Kaufhaus Cannstatt der Neuen Arbeit fordert der Philosoph Christian Neuhäuser ein Umsteuern bei der Vermögensverteilung. „Reichtum als moralisches Problem“ war der Titel seines Vortrags.

3.12. Hartz IV oder „Hearts Fear“? Autorenlesung mit Bettina Kenter-Götte im Kaufhaus Bad Cannstatt

Über Hartz IV wird viel gesprochen, Berichte von Betroffenen gibt es wenige. Viele schämen sich und wollen nicht an die Öffentlichkeit. Anders die Schauspielerin und Synchronsprecherin Bettina Kenter-Götte. Sie musste mehrmals in ihrem Leben Erfahrungen mit Hartz IV machen und empfindet das Hartz IV-System als „Schreckenskammer der Gesellschaft. Es wird nicht die Armut bekämpft, sondern die Armen.“ Bei einer Veranstaltung in DASKAUFHAUS in Bad Cannstatt berichtete sie über ihre Erfahrungen und las aus ihrem Buch.

3.13. Lesung mit Stefanie Ritzmann. Weglaufen? – Geht nicht

Die von Contergan-Schäden betroffene Stefanie Ritzmann las im Sozial-Kaufhaus Bad Cannstatt vor voll besetzten Stuhlreihen aus ihrem Buch „Weglaufen? Geht nicht!“ Stefanie Ritzmann ist eine Mutmachfrau für Menschen mit und ohne Behinderung. Ihre Stärke wird besonders deutlich in der Dankbarkeit, die sie für so vieles empfindet: „Ich bin dankbar, dass ich nicht am Contergan gestorben bin, ich bin dankbar, dass ich nicht abgetrieben wurde, ich bin dankbar, dass ich an den Erfahrungen im Heim nicht zerbrochen bin, ich bin dankbar, dass ich schon so alt geworden bin.“ Am Ende gibt sie dem Publikum Folgendes mit auf den Weg: „Ich liebe das Leben so wie es ist, trotz, oder gerade wegen Contergan.“ Es folgte langer Applaus.

3.14 Entwicklung und Umsetzung von qualifizierenden Angeboten, die ein wertschätzendes und interessiertes Miteinander von unterschiedlichen Menschen ermöglichen sollen.

Dieses Qualifizierungsangebot für Kirchengemeinden wurde vorgestellt und umfasst insgesamt fünf zweitägige Module. Eine Teilname an diesem Angebot schafft Grundlagenwissen, damit Aktionen und Begegnungen mit von Armut betroffenen, gesundheitlich eingeschränkten und Menschen aus anderen Kulturen nachhaltig gelingen können und eine Basis für eine diakonisch-inklusive Gemeinde in den kirchlichen Strukturen. Für den Einen oder die Andere ist es ein hoher Zeitaufwand an dem qualifizierenden Angebot teilzunehmen. Die hier entwickelten einzelnen Module wurden erarbeitet und stehen ab 2020 online zu Verfügung und sind somit für Interessierte öffentlich zugängig. Ein solches Qualifizierendes Angebot erfordert neben der zeitlichen Ressource auch finanzielle Mittel für notwendige Referenten. Diese Referenten sollten über das notwendige Fachwissen und ein solides Portfolio verschiedener Methoden verfügen, da diese Themen vielfältig sind und neben der reinen Wissensvermittlung ein „Trainieren“ mittels umfangreichen Methodenkoffer geboten ist. Insgesamt wurden in den o.g. fünf Modulen folgende Themen bearbeitet:

  • Sensibilisierung in der Wahrnehmung von ausgrenzenden oder diskriminierenden Verhaltensweisen

  • Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Ausgrenzung und Diskriminierung, auftretenden Ressentiments begegnen

  • Extremismus erkennen - Grundlagen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF)

  • Grundlagen der Konfliktbearbeitung und Kommunikationstechniken

  • Argumentations- und Handlungstraining bei Menschenverachtenden Einstellungen

  • Angebote zu interreligiöser und interkultureller Kompetenz

  • Gesprächsführungstechniken

  • Partizipation, Demokratie und Teilhabe gestalten


Bis zum Projektende 31.12.2020 sind sind folgende Aktionen angedacht bzw. geplant


- Veranstaltung zum Thema „Die gesellschaftliche Spaltung überwinden – Erkenntnisse aus der Eliten- und Prekariatsforschung“ mit Elitenforscher Prof. Michael Hartmann und Prof. Franz Schultheis am 12.2. 2020, 18 -20 Uhr im Hospitalhof Stuttgart.

- Ein noch nicht definiertes Projekt mit einer Konfimandengruppen der Evangelischen Kirchengemeinde Stuttgart Botnang im Frühjahr 2020

- Veranstaltung „Betroffene berichten – Kirchengemeinde hört zu“ 20. Februar 2020, 18-20 Uhr in der Vesperkirche Stuttgart

- Meditationen und Gebete an sozialen Brennpunkten

- Auslotung der Möglichkeiten seelsorgliche Angebote für die Mitarbeitenden in Arbeitshilfeprojekten der Neuen Arbeit anzubieten

- Stadtspaziergänge

- Chorprojekt

- Straßenexerzitien

- Qualifizierende Angebote für die Kirchengemeinden auf Grundlage der entwickelten Module



Ist das Projekt beendet? Falls ja: Ist eine Fortsetzung außerhalb der Förderung durch den Aktionsplan geplant?


Das Projekt endet am 31.12.2020. Eine Fortsetzung durch den Aktionsplan ist aktuell nicht geplant. Die durchgeführten Projekte und Aktionen werden in einem Kompendium gefasst und werden Kirchengemeinden und anderen Interessierten nutzbar gemacht und zur Nachahmung bzw. Weiterentwicklung zur Verfügung gestellt.


Welche Erfahrungen haben Sie durch das Projekt gemacht?

Der Graben zwischen Kirchengemeinden und Menschen die prekär leben ist tief. Leider ist das so. Dieser Erfahrung muss man ungeschminkt ins Auge sehen, bevor man über Lösungen nachdenkt, wie der Graben zu überbrücken wäre. Auch wenn Kirchengemeinden einen ausgesprochenen Auftrag haben, für Arme und Benachteiligte zu sorgen, und das de facto auch passiert, so gibt es doch viel Trennendes. Arme empfinden eine Kirchengemeinde oft als verschworene Gemeinschaft, als gesellschaftliche Schicht, in die sie nicht hineingehören. Unsere Erfahrung ist, dass das beide Seiten in ihrem angestammten Umfeld, mit ihren eigenen Gewohnheiten und Umgangsformen, mit ihren eigenen Sorgen und Nöten, mit ihren Codes, ihren Interessen, ihren je eigenen finanziellen Ressourcen, mit ihren Geschichten aneinander vorbeileben und die unterschiedlichen Welten oft nur schwer zu verbinden sind. Wenn es aber gelingt, so wie in den Projekten oft geschehen, dann hat es zu sehr positiven Erfahrungen geführt. Die Menschen spüren irgendwie, dass hier zusammenwächst was zusammen gehört.

Viele Kirchgemeinden sehen die Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft und wollen gerne auch etwas dagegen setzen. Erkennbar ist ein positiver Wille, der häufig an fehlenden zeitlichen Ressourcen aber auch an fehlenden Ideen scheitert. Auch ist es für Kirche und Gemeinde nicht ganz einfach, einen adäquaten Zugang zu gesellschaftlichen Randgruppen zu finden / diesen aufzubauen. Auf der anderen Seite müssen sich auch die Prekären auf die Kirchengemeinde zubewegen, die bestehenden Kontaktstellen nutzen und aktiv werden.

Diakonische Einrichtungen können und müssen Brückenbauer sein, weil sie in beiden Welten zu Hause sind und beide Seiten kennen.

Eine engere Verzahnung zwischen diakonischen Trägerstrukturen und Kirchengemeinde vor Ort ist hilfreich. So können die verschiedenen Kompetenzen sich ergänzen und die Kirchengemeinde auf den Weg einer diakonisch-inklusiven Gemeinde unterstützen.

Welche Erkenntnisse im Blick auf den Auftrag/die Möglichkeiten von Kirche und Gemeinde und Pfarrdienst haben Sie durch das diakonisch profilierte Projekt gewonnen?

Die Schätze der Kirche, wie geistliche und spirituelle Angebote, christliche Gemeinschaft und seelsorgliche Angebote erreichen prekäre und benachteiligte Menschen kaum. Das kann man wirklich beklagen, denn die Sehnsucht und das Bedürfniss nach spirituellen Angeboten ist in allen gesellschaftlichen Schichten vorhanden.

Die Kirchengemeinde und benachteiligte Menschen müssen sich aufeinander zubewegen. Beide Seiten müssen es wollen und tun. Aber es fehlt beiden Seiten oft an Bereitschaft, an passenden Angeboten und auch an den Ideen.

Diakonische Einrichtungen können hier als Brückenbauer fungieren. Sie haben Zugang zur Kirchengemeinde und zu Menschen in prekären Lebenslagen. Initiativen wie der Landesplan Inklusion sind darum sehr wichtig, weil sie diese Brückenbaufunktionen stärken.

Auch Pfarrer/-innen und Gemeindegruppen wie Jungschar oder Seniorengruppen, oder Anlässe wie Gemeindefeste, Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen können tragende Brücken schlagen.

Es braucht neue und alte Kontaktpunkte, viel gemeinsames Gespräch und das aufeinander Zugehen, gemeinsame Aktionen und Gottesdienste, einfach mehr Gelegenheiten um miteinander ins Gespräch zu kommen, Vorurteile abzubauen und vorneinander zu lernen und zu profitieren. Denn die Kirche gehört an die Seite der Armen und die Armen zur Kirche.


Kam es durch das Projekt zu nachhaltigen Veränderungen in Ihrer Kirchengemeinde – und falls ja: welche Beispiel fallen Ihnen dazu ein?

Es kam zu Veränderungen. Kirchengemeinden nehmen die Neue Arbeit als Ansprechpartner wahr, wenn Sie prekäre Schichten erreichen wollen. Die Neue Arbeit ist in der evangelischen Kirchengemeinde Zuffenhausen als Partner für die gemeinsame Gestaltung eines Gottesdienstes im Jahr gesetzt. Das Format „Second-Hand-Gottesdienst“ hat sich als gutes, niederschwelliges und praktisch einfach durchführbares Format erwiesen. Die beiden beteiligten Gemeinden wünschen sich eine Wiederholung. Die Neue Arbeit hat im Second-Hand-Sozialkaufhaus mit dem „Forum im Kaufhaus“ einen niederschwelligen Begegnungsraum für Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten im Quartier etabliert. Hier werden kulturelle, sozialpolitische, diakonische und geistliche Impulse gesetzt. Dazu gehören Lesungen, Gottesdienste, Vorträge, Andachten und Konzerte. Die Nachhaltigkeit wird auch durch die Verbreitung der entwickelten Konzepte und Formate in verbandlichen Strukturen gestützt. Erprobte Formate werden auch in anderen Regionen umgesetzt, abgewandelt und weiterentwickelt. Die Nachhaltigkeit wirkt dadurch auch in der Fläche. Das Kompendium am Ende des Projektes, wird nachhaltig zur Verfügung stehen und hoffentlich dauerhaft zur Nachahmung, Inspiration und Weiterentwicklung eines diakonischen Gemeindeprofils beitragen.