Inklusive Gemeindearbeit in Wendlingen am Neckar

In der Evang. Kirchengemeinde in Wendlingen wird die Frage "Für wen ist Kirche?" auch mit Inklusion beantwortet.

 

 

Um welches Projekt handelt es sich und wann hat das Projekt begonnen?

Das Projekt „Inklusive Gemeindearbeit in Wendlingen am Neckar“ läuft, bezogen auf die Projektstelle, seit 01. September 2018.
Allerdings gibt es einen Vorlauf von mehreren Jahren, in denen sich die Evangelische Kirchengemeinde Wendlingen am Neckar, ausgehend von einem durch die Fusion zweier Kirchengemeinden entwickelten Immobilienkonzept,  bereits auf den Weg gemacht hat. Der Neubau des Gemeindezentrums in Kooperation mit der BruderhausDiakonie  (Wohngruppen für Menschen mit Behinderung) wurde 2015 beschlossen und ist derzeit (Herbst 2019) im Baugenehmigungsverfahren. Baubeginn ist im Frühjahr 2020.

 

Wie war ihre Projektidee und welche Überlegungen haben Sie dabei geleitet?

Das in der Stadtmitte neu entstehende Gemeindezentrum in Kooperation mit der BruderhausDiakonie erfordert auch inhaltlich eine Neuausrichtung des Gemeindekonzeptes. Inklusion geschieht nicht automatisch, sondern braucht ein aufmerksames Wahrnehmen und Miteinbeziehen der Menschen vor Ort. Dabei sind nicht nur die Menschen im Fokus, die in der „Kerngemeinde“ beheimatet sind. Ganz bewusst sollen auch die Einbindung von Kirche im Sozialraum und die sich aus dem neuen Standort in der Stadtmitte ergebenden Themen frühzeitig Beachtung finden und sich im Gemeindealltag niederschlagen.
Auch die angestrebte Kooperation mit der BruderhausDiakonie ist nicht nur ein auf das Gebäude fokussiertes Arrangement: gemeinsames Leben unter einem Dach muss auch inhaltlich geplant und gestaltet werden. Diese Prozesse benötigen Begleitung in Form einer Person, bei der die Fäden zusammenlaufen, und die sowohl die Entwicklung innerhalb der Gemeinde begleitet, als auch Kontakte knüpft und ausbaut in den Sozialraum hinein und zum Kooperationspartner Bruderhausdiakonie.

Wie wurde die Projektidee umgesetzt?

Eine vom Kirchenbezirk teilfinanzierte 50%-Diakoninnenstelle soll dieser Aufgabe inhaltlich zugeordnet werden. Die Finanzierung wurde anteilig durch den Aktionsplan „Inklusion Leben“ gesichert. Die Stelleninhaberin konnte sich, finanziert über den Kirchenbezirk, durch eine Langzeitfortbildung über das Zentrum Diakonat weiterbilden im Bereich der Prozessbegleitung für Inklusion in Kirche und Gemeinwesen.
Parallel wurden innerhalb der Kirchengemeinde die Planungen für den Neubau weitergeführt und die Raumanforderungen mit den bestehenden Gruppen und Kreisen abgeglichen.
Es wurden erste Sondierungsgespräche mit der Bruderhausdiakonie geführt.
Es wurde ein Konzept entwickelt für das sogenannte „Forum der Möglichkeiten“: ein Raum im neu entstehenden Gemeindezentrum, der als räumliche Schnittstelle zwischen Kirche und Gemeinwesen all denen zur Verfügung steht, die sich im Sinne des Gemeinwohls engagieren und einen Raum benötigen.
Parallel dazu wurden Aktionen initiiert wie „Kirche auf dem Weihnachtsmarkt“, „Wendlingen spielt“ oder das „Gemeindewohnzimmer“ (ein „offener Treffpunkt“ für alle, die sich treffen möchten, um Gemeinde „zu leben“, sich zu treffen und Zeit füreinander zu haben), das derzeit in der Erprobungsphase ist.

 

Ist das Projekt beendet? Falls ja: ist eine Fortsetzung außerhalb der Förderung durch den Aktionsplan geplant?

Das Projekt ist noch lange nicht beendet. Es sind erste Schritte getan, das langfristige Ziel ist aber, das Zusammenleben zwischen Kirchengemeinde und diakonischem Träger, sowie die Vernetzung innerhalb der Stadt auf eine tragfähige Basis zu stellen.

 

Welche Erfahrungen haben Sie durch das Projekt gemacht?

Die Grunderfahrung ist, seit wir uns als Gemeinde auf den Weg gemacht haben zum Thema „Inklusion“, dass alles sehr viel länger dauert, als es auf den ersten Blick scheint.
Es gibt viele Vorurteile und Fehlannahmen, viel Redebedarf.
Inklusion funktioniert nur über Beteiligung, diese braucht Zeit.

Welche Erkenntnisse im Blick auf den Auftrag / die Möglichkeiten von Kirche und Gemeinde und Pfarrdienst haben Sie durch das diakonisch profilierte Projekt gewonnen?

Die Leitfrage „Für wen sind wir Kirche?“ durchzudeklinieren ist zunächst mühsam. Schon alleine deshalb, weil der Inklusionsbegriff gedanklich belegt ist durch das Bild von Menschen mit Behinderung. Man könnte fast sagen: Der Begriff „Inklusion“ aktiviert in den Köpfen eine Art sinnbildliche Rollstuhlrampe.
Dass Inklusion mehr ist und die ganze Vielfalt abbildet, die unsere Gesellschaft ausmacht, muss erst erklärt werden. Dieser Blick muss immer wieder angemahnt und neu erkämpft werden – das ist wichtig. Und es ist gut und sinnvoll, dass darauf jemand achtet und daran festhält. Gerade bei der Verbindung eines Bauprojektes mit inhaltlichen Veränderungen des Gemeindeselbstbildes ist die Gefahr groß, dass durch die Notwendigkeiten, die das Bauen mit sich bringt, der inhaltliche Prozess aus dem Blick gerät.

 

Kam es durch das Projekt zu nachhaltigen Veränderungen in ihrer Kirchengemeinde -  welche Beispiele fallen Ihnen dazu ein?

Das ganze Projekt – begonnen ab der Fusion und der Immobilienkonzeption – hat unsere Gemeinde nachhaltig verändert und wird unsere Gemeinde weiterhin nachhaltig verändern.
Zwei Kirchengemeinden, zwei Ortsteile, mussten sich mühsam zusammenrappeln – schon das war und ist immer noch gelebte Inklusion mit Höhen und Tiefen. Hier lassen sich auch Verletzungen und Enttäuschungen nicht verhindern. Und der schmerzhafteste Einschnitt – der Abriss der Johanneskirche – steht uns erst noch bevor.  
Ein in intensiver und auch komplizierter Lernprozess ist dieses einander Zuhören und Wahrnehmen. Wir sind immer noch mittendrin. Inklusion beginnt mit dem Weg nach innen.
Erst wenn ein Bewusstsein für die Vielfalt innerhalb der am Prozess beteiligten Personen vorhanden ist, ist es möglich, Gemeinde und Kirche in anderen Bezügen zu denken und wahrzunehmen.