Gemeinde geistlich leiten

Gemeinde geistlich leiten heißt: Gemeinde leiten im Vertrauen auf Gottes Geist

In den Ordnungen der württembergischen Landeskirche ist die Frage der Leitungsverantwortung klar geregelt. Auf der Ebene der Kirchengemeinden heißt es hierzu (Kirchengemeindeordnung §16): „Kirchengemeinderat und Pfarrer leiten gemeinsam die Gemeinde.“

Dies geschieht zunächst im achtsamen Umgang mit Personen, Finanzen und Gebäuden. Kirchliche Strukturen und der „Blick über den Kirchturm“ in Nachbarschaft, Bezirk und Landeskirche können dazu beitragen, dass diese Aufgaben in guter Weise bewältigt werden können.

Aber die Verantwortung des Kirchengemeinderats umfasst mehr als die Beschäftigung mit Organisations- und Strukturfragen. Denn jede Kirchengemeinde ist Teil der Kirche Jesu Christi und deshalb zuerst und zuletzt eine geistliche Größe. Unabhängig von ihrer personellen und materiellen Ausstattung hat die Kirchengemeinde den Auftrag, „dass das Wort Gottes verkündigt und der Dienst der Liebe an jedermann getan wird“ (ebenda).

 Geistliche Gemeindeleitung ist also die hohe Kunst, die geistliche und die weltliche Dimension von Kirche und Gemeinde zusammenzuhalten. Sie sorgt einerseits für den äußeren Rahmen, der notwendig ist, damit das Evangelium in Gottesdienst, Seelsorge, Unterricht und im Leben der Gemeinde zum Tragen kommen kann. Sie tut dies anderseits im Vertrauen auf und in der Bitte um den Heiligen Geist.

 

Die Kirche und der Heilige Geist

Im Glaubensbekenntnis ist von der Kirche im dritten Glaubensartikel die Rede: „Ich glaube an den Heiligen Geist.“ Kirche und Heiliger Geist gehören also zusammen. Geistliche Gemeindeleitung heißt deshalb: Kirche und Gemeinde als Werk des Heiligen Geistes begreifen und sich in der Leitungsaufgabe von Gottes Geist leiten lassen.

 

Gemeindeleitung im Neuen Testament

Beim Blick ins Neue Testament fällt auf, dass die frühen christlichen Gemeinden immer im Team geleitet werden. Leitung geschieht im Zusammenwirken von Christinnen und Christen, die ihre von Gott verliehenen Gaben zum Nutzen aller in der Gemeinde einsetzten.

Im paulinischen Missionsgebiet waren dies z.B. die Diakoninnen und Diakone sowie die „Aufseher“ (vgl. Philipper 1,1; das griechische Wort „Episkopos“ wurde schon früh mit „Bischof“ übersetzt). Auf die Tradition der jüdischen Synagogengemeinde geht das Amt der „Ältesten“, der Presbyter, zurück (z.B. Apg. 11,30). Aber es gab auch andere Leitungsämter; im Epheserbrief z.B. ist von Aposteln, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrern die Rede (Epheser 4,11).

Gemeindeleitung wird dabei stets als Dienst an der Gemeinde verstanden (Epheser 4,12 u.ö.), sie hat also ein (selbst-) kritisches Verhältnis zur Ausübung von Macht. Dies gilt in besonderer Weise da, wo sie sich dazu berufen fühlt, "die Geister zu unterscheiden."

 

Die drei Dimensionen geistlicher Gemeindeleitung 

Soziale Systeme, z.B. eine Familie, eine Organisation oder Institution, können in drei Dimensionen beschrieben werden.

  • Da ist zunächst der Sinn eines sozialen Systems, man könnte auch sagen: der Zweck, der sein Dasein begründet.
  • Da sind zweitens die Menschen, die in diesem Sozialsystem zusammen sind, genauer gesagt die auf den Sinn des Sozialsystems ausgerichteten Beziehungen und Interaktionen.
  • Und schließlich lässt sich jedes soziale System durch das Ergebnis seiner Tätigkeit beschreiben, also durch seine Leistung oder, allgemeiner formuliert, durch seinen Ertrag.

Die Leitung eines sozialen Systems vollzieht sich demnach

  • im Wahrnehmen dessen, was den „Sinn“ des sozialen Systems ausmacht
  • durch Beteiligung und Begleitung derer, die zum jeweiligen sozialen System gehören sowie
  • in der Bereitstellung von Ressourcen, die verheißungs- und auftragsbezogenes Handeln ermöglichen.

Leitung in Kirche und Gemeinde geschieht in denselben drei Dimensionen[2]

  1. zukunftsorientiert: im Wahrnehmen dessen, was der Kirche verheißen ist und worin ihr Auftrag besteht
  2. gemeinschafts- und personenorientiert: im Ernstnehmen des Priestertums aller Getauften
  3. sach- und ergebnisorientiert: im Bereitstellen eines verlässlichen, förderlichen Rahmens sowie in der Bereitschaft, neue Wege zu ermöglichen.

 

Die drei Phasen geistlicher Leitung

Leitung in Kirche und Gemeinde vollzieht sich in einem ständigen Prozess von Sich öffnen, Perspektiven entwickeln und Geistes-gegenwärtig Handeln.

 

Sich öffnen

Drei Schritte bieten sich an. Da ist zunächst das gemeinsame Hören auf Gott. Denn „der Glaube kommt aus dem Hören“ (Römer 10,17). Kirche ist also eine Hörgemeinschaft. Sie verdankt ihre Existenz dem Evangelium von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus offenbar geworden ist. Im Hören auf Gottes Wort fragen wir nach den Verheißungen, die der Kirche geben sind und nach dem Auftrag, der sich daraus ableitet (zukunftsorientiertes Leitungshandeln).

Dazu gehört zweitens, wie wir als Gemeindeleitungs-Gremium aufeinander hören (gemeinschafts- und personenorientiertes Leitungshandeln).

Und drittens: wir ermöglichen Beteiligung, indem wir auf Menschen zugehen, mit denen und für die wir Gemeinde Jesu Christi sein wollen und sollen (sach- und ergebnisorientiertes Leitungshandeln).

 

Perspektiven entwickeln

Nur ein kleiner Teil unserer Gemeindeglieder nimmt an unseren Gottesdiensten und Gemeinde­veranstaltungen teil. Das kann man beklagen. Oder man kann versuchen herauszufinden, was ihnen am Herzen liegt, welche Erwartungen sie an die Kirche vor Ort haben und wo sie möglicherweise selbst aktiv werden wollen.

Genauso können wir fragen, an wen wir als Kirche vor Ort gewiesen sind. Wie leben unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger? Was beschäftigt sie? Was brauchen sie, und was davon können wir, ggf. mit anderen Akteuren, anbieten?

Anhand dieser Fragen können mittel- und längerfristige Perspektiven für die Gemeindearbeit entwickelt werden. Wieder sind drei Schritte hilfreich: Wahrnehmen, was ist; Prüfen, welche Handlungsoptionen es gibt und Innehalten, um uns über unseren Auftrag zu vergewissern. 

 

Geistes-gegenwärtig handeln

Entscheiden: Bevor Entscheidungen getroffen werden, sollte geklärt sein, wie die Entscheidungsfindung gestaltet wird. Hilfreiche Fragen könnten sein: Wie viel Zeit können oder wollen wir uns für die anstehende Entscheidung nehmen? Wen wollen wir ggf. hinzuziehen? Welche Risiken sind wir bereit einzugehen? Welche Tragweite hat die bevorstehende Entscheidung? Genügt eine einfache Mehrheit? Oder ist die Entscheidung so wichtig, dass wir Einmütigkeit anstreben? Und: wie kommunizieren wir unsere Entscheidungen?

Umsetzen: Geistlich leiten geschieht immer „im Plural“, durch verschiedene, zur Leitung beauftragte Gemeindeglieder. Niemand kann und muss alles alleine machen – auch nicht der Kirchengemeinderat. Dazu gehört allerdings die Bereitschaft, Verantwortung abzugeben. Dies ist bei der Umsetzung von Entscheidungen stets mit zu bedenken.

Feiern und reflektieren: Über allem Planen, Entscheiden und Umsetzen nehmen wir uns oft zu wenig Zeit, um Gott für das zu danken, was wachsen durfte, ihm anzuvertrauen, was nicht realisiert werden konnte oder misslungen ist und seinen Segen zu erbitten für das, was kommen mag.

Es gehört zur Verantwortung geistlicher Gemeindeleitung, solches Feiern im Angesicht Gottes zu ermöglichen. Umso besser, wenn solches Feiern mit einem gemeinsamen Essen, zusammen mit den an der Entscheidung und Umsetzung Beteiligten, verbunden wird. Hier kann dann auch das Reflektieren über das Erreichte und Nichterreichte seinen Platz haben.

Georg Ottmar

 


[1] Dieser Text ist eine Zusammenfassung der Arbeitshilfe „Gemeinde geistlich leiten“, die Sie HIER finden können.

[2] Ähnliche Begriffe finden sich bei P. Böhlemann, in ders.: Wie die Kirche wachsen kann und was sie davon abhält (2006).