12 junge Stimmen
Beim Konvent der Dekaninnen und Dekane im Juni 2018 wurde der Verständigungsprozess „Kirche, Gemeinde und Pfarrdienst neu denken“ initiiert. Einen wichtigen Beitrag haben dabei Meike Zyball, Malte Jericke und Jochen Haas als VertreterInnen der jungen Generation im Pfarrdienst mit ihrem Beitrag „12 junge Stimmen“ gegeben. Ihr Beitrag ist bleibend aktuell!
Bei Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen sowie in den Gremien der VUV (Vereinigung unständiger Pfarrerinnen und Pfarrer, Vikarinnen und Vikare in Württemberg) kommt das Thema „Kirche, Gemeinde und Pfarrdienst neu denken“ regelmäßig auf die ein oder andere Weise zur Sprache. Inspiriert durch diese Gespräche sowie durch eigene Überlegungen und Erfahrungen haben Vikarin Meike Zyball, Vikar Malte Jericke und Pfarrer Jochen Haas „12 junge Stimmen“ formuliert. Sie sind ein Beitrag zur Diskussion um das genannte Thema und wurden beim Konvent der Dekaninnen und Dekane im Juni 2018 in Bad Boll vorgetragen. Sie lauten:
- Wir brauchen Sie!
- Gekürzt wird schon immer...
- Der Pfarrplan spielt uns in die Karten.
- Jammern ist unsexy!
- Darfs mal wieder ein Klassiker sein?
- Das Modell "Pfarrfrau" hat ausgedient.
- Wir sind auch PfarrerInnen!
- Selbst in Deutschland gibt es überall Netz.
- Wir sind ersetzbar.
- Andre Dörfer haben auch schöne Kirchen.
- Wann wäre Emmanuel Macron Dekan geworden?
- Ich feier' mich, weil ich Feierabend habe!
1.Wir brauchen Sie!
„Wir brauchen Sie!“ Diese Botschaft kommt an. Ich habe Sie bei der Aufnahme auf die Liste der Theologiestudierenden gehört, dann wieder beim Vorab-Gespräch in Tübingen. Und schließlich mit den Willkommensgrüßen im Vikariat. Freilich mit der Einschränkung, sofern beide Examina bestanden werden und keine unausräumlichen Eignungszweifel laut werden.
Als ich im Herbst 2013 mein Vikariat antrat, waren wir mit 29 Personen der größte Ausbildungskurs seit langem. Die Kapazitäten wurden aufgestockt. Niemand, der das Vikariat anfangen wollte, sollte warten müssen. Wer warten muss, fängt vielleicht woanders an und kommt nicht mehr wieder. Sie merken, die Botschaft steht: „Wir brauchen Sie!“. Und auch für die Übernahme in den Probedienst war klar, alle, die nicht den genannten Einschränkungen unterliegen, sind sofort willkommen. Über den klassischen Weg hinaus, werden alternative Zugänge zum Pfarrberuf ermöglicht und auch die Altersbeschränkungen für den Einstieg gelten nicht mehr in einer Strenge wie das schon war.
„Wir brauchen Sie!“ – Sie verstehen, dass man mit dieser Botschaft im Rücken mit einem gesunden Selbstbewusstsein startet und auftritt. Ein Hoffen und Bangen, ob der Examensschnitt auch gut genug für den Vorbereitungsdienst ist, ist meiner Generation und mir sehr fremd. Ein forderungsloser Dienst aus Dankbarkeit, weil man eine Stelle bekommen hat, klingt in meinen Ohren nach einer Anekdote von anno dazumal. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin nicht undankbar und ich weiß auch sehr wohl, was ich an meiner Kirche, auch als Arbeitgeberin, habe. Und trotzdem teile ich mit meinen jungen Kolleginnen und Kollegen die Einsicht: So wie wir uns immer wieder mit unserer Kirche rumärgern müssen, muss sich eben unsere Kirche auch immer wieder mit uns rumärgern. Schließlich braucht sie uns mindestens genauso, womöglich noch dringender, als wir sie brauchen.
Meine Altersgenossen und ich werden der „Generation Y“ zugerechnet. Unsere Generation hört im Zusammenhang des demographischen Wandels das „Wir brauchen Sie“ von vielen Seiten. Darum wird uns gerne die Einstellung zugeschrieben, „wir sind wenige und wir können wählen!“. Die Zuschreibung trifft zu. Fachkräfte werden überall gebraucht und von meinen Kolleginnen und Kollegen hörte ich oft, „sonst mache ich halt, was anderes.“ Auch mir huscht der Gedanke dann und wann durch den Kopf. Dabei stehen nicht nur außerkirchliche Anbieter zur Wahl, auch andere Landeskirchen öffnen nach und nach ihre Türen.
Umgekehrt heißt das aber auch: Alle, die hier für die württembergische Landeskirche ihren Dienst antreten, tun das aus Überzeugung. Wir entscheiden uns für Württemberg. Weil das unsere Kirche ist, weil wir hier mitwirken wollen, wollen wir hier arbeiten. Wir sind motiviert mitzumachen. Dass das so bleibt, ist eine Aufgabe an Sie, an die gesamte Kirchenleitung, aber auch an alle Gemeinden. Und damit das so bleibt, müssen auch unsere Wünsche und Vorstellungen einbezogen werden!
Ich glaube, die Einsicht „wir brauchen sie“ muss noch tiefer greifen: Wir brauchen alle, die auch nur in Teildienstaufträgen bei uns im Pfarramt arbeiten wollen. Dienst in Teilzeit ist für uns eine selbstverständliche Möglichkeit. Wir brauchen auch diese Kolleginnen und Kollegen und sollten uns darüber freuen, dass sie ihren Teil beitragen wollen. Darum begrüße ich Unterhälftige Dienstaufträge ausdrücklich – und ich weiß, dass es nicht einfach ist, die dazu gehörenden und nicht dazugehörenden Aufgaben zu bestimmen und das Drumherum jeweils vor Ort zu organisieren. Trotzdem braucht es diese Möglichkeit. Denn die Entscheidung dieser Kolleginnen und Kollegen ist nicht, arbeite ich 25%, oder 50% oder gar 100%. Nein, die Entscheidung ist, arbeite ich unterhälftig oder arbeite ich nicht! Darum ist es richtig, dass auch unterhälftige Dienstaufträge künftig auf den Probedienst angerechnet werden.
Im Blick auf Dienstaufträge und ihre Prozentsätze müssen wir noch flexibler werden. Dazu gehört auch, dass diese Option von Elternzeit, oder ähnlichem abgekoppelt wird. Trotz aller Herausforderungen, die das mit sich bringt, sollten wir uns freuen, über jede und jeden die Pfarr-Dienst tun wollen – in Voll- oder Teilzeit, egal mit wie vielen Prozenten. Denn: Wir brauchen sie.
2. Gekürzt wird schon immer...
Gekürzt wird schon immer – zumindest fühlt es sich für mich so an. Seit ich Landeskirche und ihre Strukturen bewusst wahrnehme, gibt es nur den Rotstift. Erzählungen wie in manchen Jahren bei uns neue Pfarrstellen entstanden oder gar Kirchen neugebaut wurden, erscheinen mir wie Märchen aus fernen Jahrzehnten. Solche Meldungen kenne ich nur von ökumenischen Partnern des Südens. Vor der eigenen Haustür habe ich nie solche Erfahrungen gemacht, nur die umgekehrten: Pfarrstellen müssen reduziert werden. Und ich werde mir Gedanken machen müssen über den künftigen Nutzen einst mit Stolz geschwellter Brust eingeweihter kirchlicher Gebäude. Dabei klingen mir Schlagerzeilen im Hinterkopf: „Wer soll das bezahlen? Wer hat das bestellt? …“
Und noch eine Realität begleitet mich von Beginn an: Die Kirchen verlieren Mitglieder. Seit Beginn meines Vikariats merke ich das auch ganz konkret in den nicht-öffentlichen Kirchengemeinderatssitzungen. Es sterben mehr als getauft werden. Die Sitzungen, wo keine Austritte verlesen wurden, bilden die Ausnahme.
Das hört sich bedrückend an. Es mag bedrückend sein. Aber es ist die Realität, in der wir leben. Und trotzdem stehe ich hier. Ganz offensichtlich hat mich diese Realität nicht abgeschreckt, Pfarrer zu werden. Ich kenne es nicht anders. Ich kann mich an keine rosige kirchliche Vergangenheit erinnern, der ich hinterher trauern kann. Ich lebe mein kirchliches Berufsleben von Beginn an in der Rückgang-Realität. Aber es heißt nicht, dass es so bleiben muss. Das sagen mir mein Idealismus und meine Naivität, meine Hoffnung und mein Gottvertrauen. Und selbst wenn sich der Rückgang nicht umkehren lässt, lohnt sich meine Arbeit allen innerlichen Unkenrufen zum Trotz – sie lohnt sich für die Menschen, die noch oder wieder dabei sind. Zugegeben, manchmal muss ich mir das als Mantra einsagen.
Ich freue mich, über alle, die noch dabei oder wieder dabei sind. Darum habe ich auch ein weites Herz, wenn es um Kasualien geht – besonders bei Trauungen. Ich freue mich, über alle, die mich überhaupt noch anfragen. Jede Trauung, eigentlich jede Kasualie, empfinde ich als missionarische Gelegenheit. Ich kann beitragen, dass auch distanzierte Menschen eine positive Erfahrung mit Kirche machen. Ich kann Ihnen sogar etwas von unserer frohmachenden Botschaft sagen, ob sie es hören wollen oder nicht. Was daraus wird, kann und muss ich getrost dem Heiligen Geist überlassen. Damit ich auf diese Menschen zugehen kann, ist es gut, wenn Ausnahmen ermöglicht werden und unser Kasualrecht regelmäßig entstaubt wird.
Zurück zur Kürzungserfahrung: Da muss ich mich präzisieren. Ich habe gesagt, ich könne mich an keine rosige kirchliche Vergangenheit erinnern. Das stimmt, hinsichtlich großzügiger Strukturen, entstehender Pfarrstellen und wachsender Gemeinden. Doch es stimmt nicht, im Hinblick auf erfahrene Gemeinschaft, auf gelebten Glauben und auf erlebte Kirche. Ja, da blicke ich manchmal etwas verklärt auf meine Kindheit auf dem Land zurück. Ein Dorf im hohenlohischen Jagsttal. Dort: Eine in regelmäßigen Schritten reduzierte Pfarrstelle, erst 75, dann mit 50%, inzwischen eine Stelle mit der Nachbargemeinde. Und trotzdem habe ich Gemeinde erlebt. Ich habe Kirche vor Ort erfahren, positiv, bodenständig und voller Leben. Auch daraus schöpfe ich die Überzeugung, dass Kirche nicht allein von Zahlen und Stellen abhängt. Kirche muss nah bei den Menschen sein, aber das bedeutet nicht, dass jedes Dorf sein eigenes Pfarramt braucht.
3.Der Pfarrplan spielt uns in die Karten.
Der Slogan: „Kirche neu denken“ ist in aller Munde. Für junge Kolleginnen und Kollegen ist das eine großartige Chance. Denn es scheint zum ‚Common Sense‘ zu gehören, dass sich Kirche verändern muss. Veränderungen werden vorangetrieben, neue Strukturen werden geschaffen oder müssen geschaffen werden – und genau da beginnt die Crux. Müssen oder wollen wir uns als Kirche verändern? Unser Plädoyer ist: Wir sollten weniger davon reden, was wir verändern müssen, sondern von dem, was wir verändern wollen. Den Wunsch nach Veränderung gibt es nicht erst seit unserer Generation. Wünsche, Träume und neue Ideen für die Kirche gab und gibt es sicher in jeder Generation und in jeder und jedem von uns. Wenn wir uns jetzt als Kirche verändern, dann bietet das auch viele Chancen Dinge vielleicht „endlich Mal“ anzupacken.
Wir erleben bei unseren jungen Kolleginnen und Kollegen oft den Wunsch im Team zu arbeiten. Vielleicht bietet auch die Zusammenlegung von Gemeinden die Möglichkeit den Pfarrberuf noch stärker im Team auszuüben. Wir werden zwar in Württemberg als Team ins Vikariat entsendet, aber wir lernen nicht als Team zu arbeiten. Ohne Zweifel ist es gut und hilfreich sich in einem Vikarsteam zu treffen, aber hauptsächlich wird dort über die Arbeit reflektiert oder auch mal Dampf abgelassen. Leider wird dort aber nicht gemeinsam gearbeitet.
Wir wünschen uns die Möglichkeit, im Team zu arbeiten. Es ist uns wichtig, dass dabei nicht mehr ein Pfarrer oder eine Pfarrerin einer Gemeinde zugeordnet wird, sondern das Gemeinden einem Team zugeordnet werden. Nur so ist es möglich, dass die Arbeit im Team nicht zusätzlich zum „normalen“ Gemeindealltag einhergeht. Neues kann man nicht erfinden, indem man Altes wie bisher fortsetzt. Ob dies ein tragfähiges Pfarramtsmodell sein kann, wissen wir nicht, aber wir wollen es ausprobieren.
Dass durch die Umstrukturierung so manch ein Dorf sein Pfarramt und sein belebtes Pfarrhaus verliert ist schmerzhaft. Neben den Chancen des Pfarrplans sehen auch wir die Schattenseiten. Eine große Sorge ist, dass wir junge Kolleginnen und Kollegen ein Berufsleben lang die Wunden versorgen müssen, die die Pfarrplanprozesse reißen. Erschreckend häufig begegnen uns ausgelaugte Kirchengemeinderäte, die nach einer Legislaturperiode mit Pfarrplanprozessen frustriert nicht zur Wiederwahl bereitstehen. Oder wir treffen auf junge Pfarrer und Pfarrerinnen, die in ihrer unständigen Zeit die Lichter im Pfarrhaus ausmachen mussten. Das ist ganz schön demotivierend. Aber wie es im Volksmund so schön heißt: Geteiltes Leid ist halbes Leid. In diesem Sinne möchten wir den Gemeinden begegnen, indem wir nicht in die Klage miteinstimmen, dass eine Pfarrstelle in xy gestrichen wird – vielmehr gewinnen die Gemeinden ganze Teams an Pfarrpersonen. Das leitet über zum nächsten Punkt:
4. Jammern ist unsexy!
Generell begegnen uns eigentlich nur Pfarrerinnen und Pfarrern die Freude an ihrem Beruf haben. Wirklich! Aber wir sagen auch bewusst: eigentlich. Die prinzipielle, tiefsitzende Grundzufriedenheit wird allzu oft überschattet von der bösen, unattraktiven Jammerei! Man traut sich als BerufsanfängerIn nicht zu sagen: „Also, ich komm mit der Arbeit gut zu recht. Meine Work-Life-Balance ist total ausgeglichen. Ich habe gerade nicht zu viel zu tun.“ So manche PfarrerInnen zur Dienstaushilfe haben uns auch verraten, dass sie Angst hätten, dann gleich drei weitere Gottesdienste aufgebrummt zu bekommen. Und wenn wir Berufsanfänger dann auch noch sagen: „Ganz ehrlich. Das mach ich jetzt nicht mehr in dieser Woche. Das kann warten.“ Dann hören wir oder erleben unterschwellig den Vorwurf: Ihr seid faul.
Wir sagen: Nein. Wir sind nicht faul Aber wir wollen uns auch nicht aufopfern. Unsere Arbeit sollte machbar sein und der Normalzustand sollte nicht sein, immer jammern zu können. Wir wollen auch nicht immer unsere Geschäftigkeit durch Jammern unterstreichen. Ein bis zum Rand gefüllter Terminkalender muss heutzutage nicht mehr als Leistungs- oder Qualitätsmesser dienen.
5. Darfs mal wieder ein Klassiker sein?
Um dem Jammern vorzubeugen, kommt die nächste Stimme: Darfs mal wieder ein Klassiker sein?
Wir stellen bei uns selbst und bei vielen anderen – bei jungen Kollegen oder Kolleginnen mit mehr Berufserfahrung fest: es gibt eine hohe Motivation auf die Kernaufgaben des Pfarramts. Wir haben Freude an Gottesdiensten, an den Kasualien – für uns ist es noch etwas Besonderes, wenn sich Menschen von uns trauen, ihre Kinder von uns taufen lassen und wir Menschen in ihrer Trauer begleiten dürfen.
Das dagegen macht uns wirklich nachdenklich und das raubt uns die Freude: Mitanzusehen und erleben zu müssen, dass gerade diese Dinge im Pfarramt mal einfach so nebenherlaufen müssen. Das man sich gerade für diese Dinge nicht Zeit nehmen kann, weil so viele Mails und Sitzungen warten.
Deshalb sollten wir immer wieder die Frage stellen: Was hält uns von den Kernaufgaben ab? Ganz oben steht: viel Verwaltung. Und das erleben wir am Berufsanfang als wirklich schwierig. Das Vikariat bereitet nur in sehr geringem Umfang auf all die Verwaltungsaufgaben vor. Denn oft lassen sich diese nicht so schrittweise erlernen wie die anderen Aufgaben. Oder fällt Ihnen ein, wie man so ein bisschen Haushaltsplanung und ein bisschen Mitarbeiterführung übernehmen kann?
Die Aufgabe sollte aber nicht nur sein: Wie mache ich Berufsanfänger fit in Verwaltung und all die anderen tausend Dinge, die man im Pfarramt so tun soll. Wir sollten kritisch prüfen: Was müssen wir alles tun und müssen wir das wirklich alles tun? Dabei haben wir weniger die Angst vor einem vermeintlichen Machtverlust. Wir müssen nicht per se die Leitung eines Kindergartens innehaben. Wir wollen gerne im Kindergarten beteiligt sein und uns einbringen, aber vielleicht sollten wir das mit den Elementen tun, die wir gelernt haben und gut können: Krabbelgottesdienste, Andachten, Elternarbeit, Präsenz zeigen, am pädagogischen Konzept mitdenken. Dabei müssen keine Anstellungsverträge der Putzkräfte über unseren Tisch laufen oder wer sind wir, dass wir gelernte Erzieher oder Erzieherinnen beurteilen könnten?
6. Das Modell Pfarrfrau hat ausgedient.
Von einem Pfarrer habe ich mal gehört, dass er seine Frau beim Oberkirchenrat vorstellen musste. Da wurde geschaut, ob sie auch eine gute Pfarrfrau sein könnte. So zumindest war seine Interpretation des Vorgangs. Es ist natürlich klar, dass heutzutage andere Verhältnisse herrschen. Zum Glück.
Aber trotzdem ist es uns wichtig zu betonen, dass wir das Modell Pfarrfrau, also konkret die Erwartung, dass sich die Frau des Pfarrers ehrenamtlich in der Gemeinde engagiert, weder in der Gegenwart noch in der Zukunft ein Modell ist, welches als selbstverständlich angesehen werden kann. Und mit einem Pfarrmann ist es natürlich das Gleiche. Denn zum Glück gibt es ja heutzutage genauso viele Frauen wie Männer, die den Pfarrberuf ergreifen. Die meisten Partnerinnen, Partner, Eheleute sind ja ohnehin berufstätig, weshalb ein großes Engagement gar nicht möglich ist. Das nehmen wir nicht als Defizit war, sondern unterstützen es, wenn unsere Partnerinnen und Partner eigene Wege gehen!
Das heißt im Umkehrschluss, dass eine Pfarrstelle von einer Person händelbar sein muss und dass dies auch der Gemeinde so kommuniziert wird. Es kommt eine Person für die Tätigkeit in der Gemeinde!
In einigen Gemeinden mag es die Sehnsucht geben, dass das Pfarrhaus von einer intakten Pfarrfamilie aus Pfarrer, Pfarrfrau und einigen Kindern belebt wird und somit das Ideal einer christlichen Familie vorgelebt wird. Mit dieser Sehnsucht muss man sensibel umgehen. Wir müssen aber auch feststellen, dass wir diesem scheinbaren Ideal vielerorts weder entsprechen können noch wollen. Manche Pfarrerinnen oder Pfarrer kommen ohne eigene Familie oder mit einem gleichgeschlechtlichen Partner oder Partnerin. Diese sind genauso geeignet eine Pfarrstelle auszufüllen wie andere.
Familie, Beziehung, Singleleben oder Ähnliches sind in allererster Linie privat. Wenn man sich hierfür rechtfertigen muss, bindet das sehr viel Energie, welche man gerne für andere Aufgaben innerhalb der Gemeinde hätte. Natürlich spricht nichts dagegen, dass auch Familienmitglieder am Gemeindeleben teilnehmen oder sich engagieren. Aber wenn das nicht der Fall ist, dann ist es genauso stimmig.
7. Wir sind auch PfarrerInnen!
Die Betonung liegt auf dem auch. Und es schließt im Prinzip an das an, was wir gerade gesagt haben. Wir haben ausgeführt, dass wir eine hohe Motivation für den Pfarrberuf mitbringen und es gute Gründe hat, dass wir für diese Kirche arbeiten wollen. Das schließt aber unserer Meinung nach nicht aus, dass wir auch noch Motivation für andere Dinge haben.
Zum Beispiel für Familie, wenn wir sie denn mitbringen. Wir haben gerade über berufstätige Partner und Partnerinnen gesprochen. Das bedeutet, es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Elternteil zuhause ist und sich um Kinder etc. kümmert, sondern, dass man es gemeinsam macht. Das betrifft auch die Diskussion um halbe Stellen oder unterhälftige Dienstaufträge. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erfordert eine gewisse Flexibilität. Es geht aber nicht nur um halbe Stellen, sondern auch darum, dass auch mit einem vollen Dienstauftrag ein Familienleben möglich ist. Es wäre unsere Wunschvorstellung, dass ein Familienleben möglich ist und sich dieses nicht nur auf dem Gemeindefest abspielt. Wir nehmen sehr positiv wahr, dass gerade im Vikariat sehr viel für Familienfreundlichkeit getan wurde und wird. Da ist sehr vieles möglich gemacht worden. Gleichzeitig geht aber nicht nur um Familie. Es gibt ja auch noch andere schöne Dinge im Leben.
Es gibt Freunde und Hobbys für die man Zeit braucht. Denn einen gewissen Ausgleich zum Pfarrberuf, wie zu jedem anderen Beruf, bedarf es unserer Meinung nach, sonst leidet die Qualität der Arbeit. Eine eigene Familie mit Kindern ist sicher ein guter Grund auch wirklich mal Feierabend zu machen und sich Zeit zu nehmen. Aber es sollte mit und ohne Familie möglich sein, sich auch von der Arbeit abgrenzen zu können ohne Rechtfertigungsdruck. So haben wir uns zum Beispiel die Frage gestellt, was ist, wenn ich mich irgendwo außerhalb der Gemeinde ehrenamtlich engagieren will? Eine Gemeinde lebt ja auch von Ehrenamtlichen! Wenn ich jetzt zum Beispiel eine Jugendfußball-Mannschaft trainieren will. Ist das möglich? Wird das akzeptiert? Die bessere Frage ist vielleicht: Warum sollte es eigentlich nicht möglich sein, dass ich mich auch dort für eine gute Sache engagiere…? Aber trotzdem sind uns nur ganz wenige Pfarrerinnen und Pfarrer eingefallen, die ein ernsthaftes Freizeitengagement außerhalb der Gemeinde betreiben. Warum eigentlich? Daran wollen wir weiterdenken.
8. Selbst in Deutschland gibt es überall Netz.
Deutschland steht nicht gerade im Verdacht ein besonders gutes flächendeckendes Handy- oder WLAN-Netz zu haben. Nichtsdestoweniger ist man heutzutage eigentlich immer und überall erreichbar. Man muss also nicht zwangsläufig in seinem Pfarrhaus sitzen um erreicht zu werden. Wir haben alle E-Mail und Handys.
So fänden wir es erstrebenswert, wenn man auch einfach mal ein Wochenende wegfahren könnte, ohne dass man dabei ein schlechtes Gewissen haben muss, gegen Regeln verstößt oder Urlaub nehmen muss. Denn erreichbar ist man sowieso. Mobil ist man auch. Im Notfall kann man, egal von wo aus, schnell wieder zurück in seiner Gemeinde sein. Und das allermeiste kann ja auch einfach bis zum nächsten oder übernächsten Tag warten, so lange man kommunizieren kann, dass man sich dann darum kümmert.
Das funktioniert sicherlich nur mit guten Absprachen mit Kolleginnen und Kollegen. Denn manches muss vielleicht doch schnell erledigt werden. Aber hier würden wir vom Team herdenken. Man kann sich ja mit der Nachbarkollegin absprechen: („Du, ich bin jetzt das Wochenende weg. Wenn irgendwas ganz Dringendes kommt, kannst du das übernehmen?“) und dieses Angebot natürlich auch andersherum aufrechterhalten.
Wir waren uns einig: Wir gönnen es unseren KollegInnen, wenn sie mal ein Wochenende weiter wegfahren. Und genauso wüssten wir, dass er oder sie uns gut vertritt, wenn bei uns mal ein Notfall reinkäme und wir nicht vor Ort sind. Das führt uns dann auch zum nächsten Punkt.
9. Wir sind ersetzbar.
Ich kann die von mir selbstgehaltenen Gottesdienste noch an einer Hand abzählen – wie lange ist das bei Ihnen her, als Sie das auch noch konnten? Deshalb fällt es mir auch nicht schwer zu glauben, dass ich ersetzbar bin. Weil so lange bin ich halt noch nicht da und an die Zeit, ohne mich im Talar, kann ich mich noch richtig gut erinnern.
Diese Feststellung und auch Einstellung tut gut beizubehalten: Was ich kann, kann auch jemand anderes. Wir haben es ja eh schon erwähnt, dass wir im Team arbeiten wollen.
Diese Einstellung ersetzbar zu sein, schützt aber auch sich in der Arbeit zu verlieren und maßlos reinzugeben. Im Laufe des Berufslebens und je mehr man verankert wird in einer Gemeinde, kann ich mir sicher vorstellen, wird es schwieriger, sich von der Arbeit zu distanzieren. Man möchte ja auch nicht signalisieren, man sei faul. Aber wie Sie uns ja bereits kennen gelernt haben, hat meine Generation weniger Probleme damit eventuell auch mal als faul zu erscheinen. Es ist zwar wirklich ein schönes Bild, wenn man als Pfarrerin oder Pfarrer gebraucht wird und man sich mit Menschen verbunden fühlt und dann dementsprechend ausstrahlt: Ich bin da für euch. Aber keiner kann immer da sein. Gemeindemitglieder können nicht darauf bestehen, dass sie von „ihrem“ Pfarrer getraut werden oder das „ihre“ Pfarrerin den verstorbenen Ehemann beerdigt. Schon jetzt haben Pfarrerinnen und Pfarrer Anspruch auf Urlaub. Den sie sich nehmen sollten und auch guten Gewissens mit der Einstellung: Ich bin ersetzbar. Was auch immer passiert, mein Kollege oder meine Kollegin macht das mindestens genauso gut wie ich. Dazu mehr im nächsten Punkt:
10. Andre Dörfer haben auch schöne Kirchen.
Ab und an hört man doch den Satz: „Die in der Nachbargemeinde, die können das oder jenes besser oder haben ein super Angebot. Das brauchen wir auch.“ Brauchen wir das wirklich?
Man könnte doch auch sagen: „Die haben ein super Angebot, da können wir doch auch hingehen.“ Nicht jede Gemeinde muss alles abdecken. Man könnte grundsätzlich sagen: „Wir finden es schön, wenn unterschiedliche Gemeinden unterschiedliche Schwerpunkte haben.“ Ja, es ist wunderbar, wenn man viel vor Ort hat und vieles in der Nähe ist. Das ist keine Frage. Und keiner von uns hat etwas gegen ein reges Gemeindeleben vor Ort.
Ein tolles Angebot in einer anderen Gemeinde muss aber kein Defizit für die eigene Gemeinde sein, sondern man kann sich drüber freuen, dass es dort so etwas Gutes gibt. Es geht also darum, dass man sich gegenseitig ergänzt und nicht alle das Gleiche anbieten müssen. Gemeinden stehen ja nicht in Konkurrenz, sondern sind Teil einer Kirche! Das bietet die Möglichkeit, dass sich Gemeinden und auch Pfarrerinnen und Pfarrer Schwerpunkte setzen und so gemeinsam mit anderen Gemeinden zusammenarbeiten.
Wir fühlen uns als Pfarrer/Vikare nicht „nur“ einer Gemeinde, sondern einer ganzen Kirche.
11. Wann wäre Emmanuel Macron Dekan geworden?
Ich gebe zu, ich wusste schon vor dieser Tagung, dass es wenige Dekaninnen und Oberkirchenrätinnen gibt. Aber als ich gestern hier ankam, wurde mir das nochmal, im wahrsten Sinne des Wortes, vor Augen geführt und mein erster Gedanke war: „Oh krass.“ Ich finde es daher gut, dass sich meine Landeskirche bemüht mehr Frauen für Führungspositionen zu gewinnen. Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde schon angesprochen und scheint mir auch hierfür unerlässlich! Also: Gut so, mehr Frauen in die Leitungsämter im Oberkirchenrat und den Kirchenbezirken. Die Landessynode ist mit knapp 40% Frauenanteil da schon einiges weiter, die Kirchengemeinderäte mit etwas über 50% am weitesten voraus. Es braucht Frauen und Männer in Entscheidungsgremien und in Führungspositionen. Ich bin überzeugt, Diversität in Leitungsämtern kommt einem System zu Gute.
Dazu zähle ich auch die Altersvielfalt. Ich glaube, gerade wenn wir über Kirche, Gemeinde und Pfarrdienst der Zukunft sprechen, müssen auch verschiedene Generationen zu Wort kommen! Die heutige Einladung an uns, verstehe ich als einen Schritt auf diesem Weg. Gerade bei jungen Kolleginnen und Kollegen nehme ich zeitweise Frust wahr, dass beispielsweise beim Pfarrplan, Personen über Strukturen entscheiden, die diese selbst gar nicht mehr leben müssen. Das ist eine Erfahrung und keine Geringschätzung lang gedienter Kirchengemeinderäte jenseits der 70 oder erfahrenen Kolleginnen und Kollegen aus der Baby-Boomer-Generation. Aber unsere Strukturen tragen dazu bei, dass junge (Pfarr)Personen in den entsprechenden Gremien und Entscheidungsprozessen in geringer Zahl, nur beratend, oder häufig gar nicht vertreten sind.
Auch bei kirchenleitenden Ämter ist da noch Luft nach oben. Es braucht Einsichten aus verschiedenen Generationen, mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Prägungen. Der Präsident der französischen Republik ist Jahrgang 1977. (Der österreichische Bundeskanzler gar Jahrgang 86.) Personen dieses Alters können also durchaus Führungsaufgaben übernehmen. Wenn ich in die heutige Runde blicke, finde ich Menschen aus diesen Jahrgängen nicht vertreten. Woran liegt das?
Bei der Vollversammlung der VUV 2016 gab es eine Podiumsdiskussion zum Thema „Fürchtet euch nicht – Frauen machen Kirche“. Prälatin Wulz, Dekanin Kath und Synodalpräsidentin Schneider diskutierten mit den Kolleginnen und Kollegen im Vorbereitungs- und im Probedienst. Damals wurde auch die Frage gestellt, warum es so wenige jüngere Frauen, aber auch Männer, in kirchlichen Leitungspositionen gebe. Ein Antwortversuch war, dass die Amtszeitbegrenzung auf 10 Jahre abschrecke. Ich glaube nicht, dass das zutrifft. Auf mich wirken Zeitbegrenzungen nicht wie ein drohendes Damoklesschwert. Vielleicht habe ich leicht reden, weil ich nicht in der Situation bin. Vielleicht fehlen auch schlicht inspirierende Vorbilder, die zeigen, dass die Karrierespirale nicht nur nach oben gehen muss. Jan Jannsen ist so ein Beispiel. Nach gut neun Jahren als Bischof der Oldenburger Kirche geht er zurück ins Pfarramt. Ein anderes Beispiel ist die ehemalige Direktorin unseres Pfarrseminars. Dr. Susanne Edel kehrt nach ihrer Amtszeit ins Gemeindepfarramt zurück. Sie teilt sich dort sogar die Stelle mit einer Kollegin, die sie im Pfarrseminar ausgebildet hat. Ich freue mich auf mehr solche Beispiele. Sie zeigen, ein Wahrnehmen und dann wieder Abgeben von Führungsaufgaben ist kein Knick in der Berufsbiographie.
Ich erlebe, dass Berufsbiographien der „Generation Y“ nicht mehr so grade verlaufen werden wie bei bisher. Vielleicht entsprechen Amtszeitbegrenzungen daher ja auch der Mobilität meiner Generation und ihrem größeren Wunsch nach Flexibilität auf der einen und Begrenzung auf der anderen Seite. Um das herauszufinden, brauchen wir Leitungspersonen verschiedener Altersstufen, die die Zukunft der Kirche gestalten!
12. Ich feier‘ mich, weil ich Feierabend habe!
Feierabend und Pfarramt sind für uns kein Widerspruch. Das wurde schon erwähnt. Auch, weil uns die Qualität unserer Arbeit wichtig ist. Dafür braucht es Ruhe- und Erholungsphasen, Feierabend eben. Dazu kommt: Von Anfang an hören wir Geschichten wie erfahrene Kollegen mit „Burnout“ ausfallen. Da wollen wir nicht hin. Das heißt: Ich muss von Anfang an auf mich aufpassen. Auch darum braucht es Feierabend.
Es gibt große Erwartungen an den Pfarrer am Ort. Und Gemeinden haben viele Ideen, was ihre Pfarrerin alles zu tun hat. Das sieht man zum Beispiel immer wieder bei Stellenausschreibungen ziemlich deutlich. Wenn nun die Vorstellungen, was alles zu leisten sei, nicht mit dem übereinstimmen, was ich leisten kann und will, dann wird es spannend.
Die Herausforderung sich angemessen abzugrenzen. Das kennen auch Sie und ist wohl eine dauerhafte Aufgabe im Pfarramt. Aber gerade am Berufsanfang fällt sie schwer. Besonders beim Start auf einer Pfarrstelle nach dem Vikariat. Man will nicht als faul gelten, man will es den Leuten recht machen. Man kann schlicht schwer unterscheiden, was kann und was darf ich auch lassen. Und selbst wenn man das für sich eigentlich weiß, gelingt es nicht automatisch. Schließlich schwebt man nicht im luftleeren Raum, sondern steckt in systemischen Verstrickungen. Dann braucht es Unterstützung bei der Abgrenzung. Gerade auch in der Kommunikation mit der Gemeinde. Doch die Vorgesetzte darauf anzusprechen, fällt meines Erachtens vielen schwer. Vielleicht hilft es, wenn umgekehrt die Vorgesetzte den jungen Kollegen anspricht. Freilich auf angemessene Weise, schließlich handelt es sich um ausgebildete und ordinierte Pfarrerinnen und Pfarrer!
Vielen von Ihnen gelingt das bereits, was ich hier moniere. Und gleichzeitig höre ich von jungen Kolleginnen und Kollegen, wie sie ihren Start nach einer Phase mit der rosaroten Brille mit viel Frust erleben. Vor allem, weil es plötzlich die Kernaufgaben sind, die nebenher laufen müssen. Alles Mögliche dominiert den Alltag, außer das, weshalb man Pfarrerin geworden ist. Das ist auf Dauer frustrierend und da braucht es Unterstützung.
Neben den vorhandenen Erwartungen einerseits, gibt es andererseits eine gegenläufige Tendenz: Immer weniger Menschen wissen, was man eigentlich von Kirche oder einem Pfarrer erwarten kann. Ich kann nun darüber einfach jammern. Oder ich kann versuchen, aus dieser Realität etwas mehr Freiraum zu gewinnen. Wenn weniger klar ist, wofür ich stehe, wenn weniger von mir erwartet wird, gibt es mir auch mehr Freiheiten. Weniger Zuschreibung, mehr selber definieren.
Mit dieser Einsicht einerseits und andererseits mit angemessenem Abgrenzen, kann Feierabend gelingen. Schließlich wissen auch wir um unsere eigene Begrenztheit. Die Begrenztheit unserer Kräfte. Wir werden nie alles erledigen und abarbeiten können. Das gilt auch für diesen Vortrag.
Sicher hätten wir auch große Bilder und ganze neue Visionen ausdenken können. Utopien des Reiches Gottes in Württemberg entwickeln und Innovationen für Pfarramt, Gemeinde und Kirche neu denken. Aber das halte ich für unsere gemeinsame Aufgabe! Und wie gesagt, irgendwann muss man ein Ende setzen.
In diesem Sinne,
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Wir freuen uns auf die Diskussion.